Warum sind Fehler so elementar
Wieso passieren Fehler? – Nicht nur ist es normal, Fehler zu machen. Nein, sie gehören zu allem untrennbar hinzu.
Wie so vieles ist das Leben ein Resultat eines Fehlers, einer kleinen Asymmetrie. Das ganze Universum ist das Ergebnis einer kleinen Asymmetrie. Wenn alles perfekt wäre, würde es uns gar nicht geben.
Harald Lesch (Physiker)
Es gibt nichts ohne Fehler. Und es kann auch ohne sie nichts existieren.
Harald Lesch, von dem das obige Zitat stammt, hat letztens einen schönen Beitrag zur Sendung ttt beigesteuert, den man hier ansehen kann. Fehler sind sogar der Ursprung allen Seins. Doch ab vom philosophischen, ab von der elementaren Bedeutung des Fehlers im Universum … zurück zum Schach. Warum sind sie im Schach so elementar?
Der Schachspieler hat am Brett das eine Ziel: zu gewinnen. Gewinnen kann er dabei, wenn er besser ist, als sein Gegner. Und das wiederum heißt, selbst keine Fehler machen und die des anderen, die falschen Züge widerlegen.
Fehler im Schach
Genauer betrachtet ist es deutlich komplizierter. Eine Maschine, eine künstliche Intelligenz wie Stockfish mit 3600 ELO, die mehr als 8 Spielklassen besser als der menschliche Weltmeister spielt. Eine solche Maschine macht aus menschlicher Sicht keine Fehler. Sie kann uns zeigen, wie eine Partie „fehlerfrei“ verläuft.
Randbemerkung: Selbst unter Maschinen kommt es wegen statistischer Ungenauigkeiten im Universum des Zugbaums zu Fehlern, zu Unverhergesehenem. Auch Maschinen können noch verlieren. Schach ist für ein endliches Wesen unserer Welt nicht absolut beherrschbar.
Doch aus menschlicher Sicht kommt es in jeder Partie zu Fehlern, ja in der Regel sogar nicht nur zu Ungenauigkeiten, sondern zu groben Fehlern und Patzern. Hier liegt der Schlüssel im menschlichen Wettkampfschach: im Umgang mit dem Fehler. Und zwar speziell im Umgang mit denen des Gegners aber eben auch im Umgang mit den eigenen.
Die Rolle des Fehlers beim Partieverlauf
Die Eröffnung
Die große Anzahl an möglichen Partieverläufen macht Schach unbeherrschbar. Es geht also darum, mit der eigenen Unzulänglichkeit im Schach zum Erfolg zu kommen. Hier kommt, neben anderen Faktoren, die Wahrscheinlichkeitsrechnung ins Spiel. In wenigen Zügen ist es auch weniger wahrscheinlich, einen Fehler zu machen, als in vielen Zügen. Jedenfalls sollte man das grundsätzlich annehmen. Tatsächlich aber sind die ersten wenigen Züge einer Partie die am meisten analysiertesten. Die plattesten Züge. Die in Punkto Kreativität verbrauchtesten.
Viele Generationen von Weltklassespielern haben die ersten Züge, die Eröffnungen im Schach erschöpfend analysiert. Seit Mitte der 90er kommt die Kraft von gewaltigen Rechenmaschinen, von KIs hinzu. So kommt es, dass in der Eröffnung nicht der bessere Schachspieler, sondern der bessere Student von Eröffnungstheorie die Nase vorn hat. Datenbanken und Computer helfen jedermann bei einem solchen Studium. Es ist nicht länger „Geheimwissen“ wie noch vor 30 Jahren.
Eröffnungstheorie zu lernen ist jedoch nicht einfach auswendig lernen. Es ist, ähnlich wie das Studium in MINT-Fächern, vor allem das Verstehen von Strukturen, von Schemata, von Prinzipien und Abfolgen. Es lässt sich durch gute Kenntnis der Eröffnung ein Großteil möglicher eigener Fehlerquellen ausschließen. Ja mehr noch. Auch das Widerlegen gegnerischer Fehler in der Eröffnung ist nicht länger ein kreativer Akt. Ohne gute Eröffnungskenntnisse wird man als Schachspieler deshalb gar nicht erst über ein gewisses Niveau hinaus kommen. Schließlich gibt es genügend Spieler, vor allem junge, engagierte, die hier viel Energie investieren. Investieren und sehr häufig dafür mit dem Sieg belohnt werden.
Das Mittelspiel
Im Mittelspiel kommt dem Fehler eine deutlich dynamischere Rolle zu. Hier ist kreativer Umgang mit dem Phänomen „Fehler“ gefragt. Ich beziehe mich hier nicht auf den Fall, in dem aus der Eröffnung eine Art „Oma“ entstanden ist. Eine Spielsituation, die selbst ein blutiger Anfänger gegen einen Fortgeschrittenen zu gewinnen vermag. Nein, ich denke vor allem an die Sorte Mittelspiel, in der jeder der Spieler auf seine eigenen Kräfte zurück geworfen ist. In der jeder Zug zugleich etwas Neues ist. Eine neue Urhebung.
In dieser Phase der Partie ist es zum einen insbesondere so, dass jeder Spieler auf sich gestellt ist. Zum anderen obliegt auch die Bewertung der Stellung, der aktuellen Spielsituation nunmehr ganz der subjektiven Einschätzung der Spieler. Hat nun also der Gegner gerade einen guten oder einen schlechten Zug gemacht? War der Zug richtig oder falsch? War er ein Fehler? Gibt es eine Erwiderung, den Zug als falsch zu entlarven? Dies ist zunächst die achtsame Bewertung der gegenwärtigen Spielsituation.
Er war, er ist, er bleibt
Der Fehler. Denn neben der achtsamen, gegenwärtigen Betrachtung kommt dem Fehler zusätzlich sowohl in der rückwärtigen als auch in der zukünftigen Ansicht der Partie große Bedeutung zu. Hat man nämlich selbst zuvor einen Fehler gemacht, so stellt es – wie GM John Nunn es sehr schön bescheibt – eine große Herausforderung dar, mit dieser Art Versagen umzugehen. Der Partie auch weiterhin den vollen Einsatz zollen zu können, obwohl die Stellung schlecht ist, obwohl man verloren steht.
Die zukünftige Betrachtung der Partie wiederum kann in Punkto „Fehler“ problematisch sein, wenn man viel zu verlieren hat. Wenn man also auf Gewinn steht und Angst hat. Angst, durch einen Fehler, so sogar vielleicht sogar durch einen groben Patzer, die Partie noch einzustellen. Wenn eigentlich nichts mehr passieren kann, wäre da nicht die Möglichkeit des Fehlers. Denn, nein, es ist nicht nur eine Möglichkeit. Es ist die Gewissheit, dass Fehler folgen werden – zurecht! Das ist der Grund, warum es immer schwieriger ist, eine gewonnene Stellung zu spielen, als eine verlorene. Psychologie und das Wissen, dass es eine Welt ohne Fehler nicht gibt.
Das Endspiel
In der letzten Phase einer langen Partie, so sie denn überhaupt passiert, häufen sich Fehler im menschlichen Spiel besonders. Erschöpfung spielt einerseits eine Rolle, da sie die Entstehung von Fehlern beflügelt. Andererseits ist es im Endspiel sehr oft so, dass sehr kleine Vor- oder Nachteile eine Partie entscheiden. Mehr als in den ersten beiden Phasen. Und dann, nicht zuletzt, geht es nun darum, entweder das Remis zu halten (z.B. durch Stellungswiederholung oder Zügeregel) oder eben endlich Matt zu setzen. Und auch hier, in dieser ganz am Ende stattfindenen Phase, kurz vor Schluss, ist der Fehler wieder entscheidend. Patt statt Matt. Ein grober Patzer, der die ganze vorherige Anstrengung zunichte macht.
Von Fehlern, Computern und Menschen
Warum Computer langweilig sind…
Ja, Computer sind langweilig. Jedenfalls als Gegner im Schach. Als Mensch gegen einen Computer zu spielen, eine Maschine mit über 3000 ELO, geht am Sinn des Spiels vorbei. Diese Maschine macht keine Fehler. Jedenfalls keine für uns erkennbaren. Man kann sich nur eigene Unzulänglichkeiten zerlegen lassen. Bekommt dann und wann eine schöne Abschlusskombination gezeigt, die man übersehen hat.
Aber verglichen mit dem Spiel unter Menschen ist Maschinenschach in diesem Sinne langweilig. Als Trainingsmittel oder Lückenbüßer in der Einsamkeit sind dennoch auch Maschinen mit ihrer relativen Fehlerfreiheit im Schach unverzichtbar. Mit Internetzugang würde ich in der Einsamkeit – wie im Lockdown einer Pandemie – dennoch immer menschliche Gegner (genauer beim Onlineschach) vorziehen. Unübertroffen bleibt natürlich immer die menschliche Begegnung am haptischen Brett.
Wer den letzten Fehler macht…
Nicht der, der den ersten Fehler macht verliert. Es ist der, der den letzten macht. Deshalb habe ich vor allem zwei Tipps: Hoffen und sich über die eigenen Fehler nicht grämen. Sie schätzen, als Teil des Ganzen. Lieben lernen als Teil des Schachspiels selbst. Es geht nicht darum, keine Fehler zu machen, sondern lediglich darum, weniger bzw. kleinere zu machen als der Gegner. Und das wichtigste in meinen Augen: die Begegnung beim Schach zwischen fehlerhaften, menschlichen Wesen. Deshalb vergiß nie das „Chapeau!“ für das gute Spiel Deines Gegners nach einem fairen Kampf.
Fazit
Es kann eine Welt ohne Fehler gar nicht geben. Deshalb kann und darf es nie darum gehen, keine Fehler zu machen. Sondern es geht vielmehr um den Umgang mit ihnen.
Errare humanum est, sed in errare perseverare diabolicum.
lat. Sprichwort
Und: „Wer Fehler hasst, hasst Menschen.“ Menschen machen Fehler. Und Schach ohne Fehler wäre nicht nur witzlos. Es wäre auch sinnlos. Die eigenen Unzulänglichkeiten als gegeben hinnehmen. Auch „Fehler verzeihen„. Wobei mir aber der Schuldbegriff im Zusammenhang mit Fehlern sehr antiquiert erscheint.
Wenn man erst erkannt hat, welche Bedeutung dem Fehler an sich und speziell dem im Spiel und hier speziell im Schachspiel zukommt, wird man Schach auch als „Spiel mit den Fehlern“ auffassen. Die gegnerischen Fehler aufdecken und widerlegen. Die eigenen Fehler bewusst wegstecken, das beste daraus machen und weiterspielen. Zug um Zug. Entscheidung um Entscheidung. Jeder Zug, jede Entscheidung kann ein Fehler sein. Ein Großteil davon ist es auch. Aber motiviert nach dem besten Zug, nach der richtigen Entscheidung suchen. Darum geht es im Schach. Und Fehler sind dabei nicht auszumerzen, nein sie gehören dazu, wie die Butter zum Brot.
Gut Holz!
SH, 12.2020
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