Blockaden im Schach
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Frauen, Männer und Schach

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Frauen, Männer und Schach

Ein paar Worte vorweg …

Gendergaga

Frauen, Männer und Schach – gerade bei diesem Thema will ich gleich zu Anfang ein paar Worte zum Gendering sagen. Es ist reine Polemik, den Befürwortern des Genderns zu unterstellen, sie wollten jede(n) zum Gendern zwingen. Aber es ist eine klare Diskriminierung, wenn an öffentlichen Stellen wie selbstverständlich bei Personalpronomen die männliche Form benutzt wird.

Ich kann mir ehrlich gesagt auch Laschet oder Scholz nicht als Kanzlerin vorstellen. Aber das nur am Rande 😉

Ursprünglich hatte ich diesen Beitrag in der männlichen Form geschrieben und auf Gendern verzichtet. Ich hatte lediglich klargestellt, dass ich ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet hätte. Entsprechende Begriffe gälten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter (nicht nur Mann und Frau). Die verkürzte Sprachform habe keine Wertung beinhaltet.

Heute bin ich geläutert. Das Thema Gendern war im 1HJ 2021 sehr präsent in den Medien. Und um die Frage ob Gendern oder nicht, auf den Punkt zu bringen, das folgende kleine Beispiel:

Wenn Peter mich fragt, ob er was trinken kann, sag ich ja auch nicht: „Klar, Paul, hol Dir was aus dem Kühlschrank! – Du heißt zwar Peter, aber wenn ich Paul sage, fühl Dich einfach mitgemeint, nicht wahr?“

*freundliches Schultertätscheln*

Warum ich?

Warum sehe ich mich als geeignet, über dieses Thema zu schreiben? Zum einen bin ich seit vielen Jahren passionierter Schachspieler und habe schon gegen zig Frauen, Kinder, Senioren, „Behinderte“, Ausländer*innen, … gespielt. Zum anderen bin ich darüber hinaus ein sehr weltoffener Mensch mit Horizont und persönlicher Geschichte, fest mit den Menschenrechten verwurzelt.

Der überlegene Mann?

Nun zum eigentlichen Thema zurück. In der Geschichte „Das Damengambit“ durchbricht eine Frau die Männerdomäne Schach. Die zugehörige Netflixserie hat einen Schachhype ausgelöst. Oft taucht diesertage die Frage auf: „Warum spielen Männer besser Schach als Frauen?“. Ich finde, schon die Fragestellung ist falsch und irreführend. Ich will die Fragestellung dazu zunächst sogar noch aufweiten.

Warum glauben also viele (vor allem Männer), dass „Männer“ grundsätzlich besser im Schach seien? Warum glauben manche weiterhin, dass manche Eigenschaften eines Menschen, wie

  • Geschlecht
  • sexuelle Orientierung
  • körperliche oder seelische Verfassung
  • Psyche
  • ggf. „Behinderung“
  • Alter
  • sozialer Status
  • Nationalität
  • Vereinszugehörigkeit
  • Andersartigkeit
  • oder sonst irgend etwas, was ihn als Mensch von anderen Menschen unterscheidet

bzgl. seiner Fähigkeiten im Schach irgendeine Bedeutung haben?

Sicher, gerade heutzutage gibt es viele, die dies schlicht aufgrund ihrer rechtspopulistisch geprägten (bis hin zu einer faschistischen) Grundeinstellung für gesetzt annehmen. Menschen nämlich, deren Weltbild vor allem von Hass und Fakenews, von „alternative facts“ geprägt ist. Die vier Jahre lang indes dem mächtigsten Mann der Welt aufgesessen sind. Dabei teilen sie insbesondere andere Menschen in Klassen, Rassen etc.. Auch ich habe seit der ersten Veröffentlichung dieses Beitrags im Januar 2021 chauvinistische und hetzende Kommentare erhalten. Dabei ist es ein lächerlich kleiner Beitrag im Kampf um mehr Gleichberechtigung.

Warum spielen im Schach Frauen und Männer getrennt?

Im Schach spielen Frauen und Männer getrennt, weil historische Entscheidungen wie die Einführung separater Frauenmeisterschaften und leichter zu erreichende Titel für Frauen zu einer fast vollständigen Trennung geführt haben. Einen tieferen Grund für die Trennung gibt es nicht. Die Trennung wurde von den Verbänden genutzt, um Mittel für die Frauenförderung zu erhalten und zusätzliche Einnahmen zu generieren. Einige Spielerinnen gaben zu, dass sie durch Frauenturniere nicht ihre volle Leistungsfähigkeit zeigen müssten und finanziell von der Förderung profitierten. Trotz Jahrzehnten der Unterstützung bleibt der Anteil weiblicher Spieler*innen im Schach gering, was erklärt, warum weibliche Hochbegabte wie Judit Polgar selten auftreten.

Wieso gibt es so viele männliche Großmeister*innen?

Eigentlich ist es mathematisch einfach. Wenn in einer einmal existierenden „Domäne“ (hier: Schach; Grund dafür nebensächlich) 95% Männer und 5% Frauen sind, beide sich aber bzgl. der Domäne in nichts unterscheiden (außer ihrem Anteil daran). Dann gibt es natürlich auch bei den Titelträger*innen darin nur maximal 5% Frauen. Maximal deshalb, weil sie eine gravierende Minderheit sind, und deshalb (soziologisch) Diskriminierung in irgendeiner Form auf der Hand liegt bzw. zu erwarten ist. Es wäre die erste Gesellschaft auf diesem Planeten, in der Diskriminierung von Minderheiten kein Thema wäre.

Hier gegen zu steuern sollte den Organisationen/Verbänden geboten sein, und das versuchen sie ja zum Glück auch. Meine persönliche Einschätzung ist, dass es mit heutiger Politik noch viele Jahrzehnte dauern wird, bis die Schachgemeinde aus 50% Frauen und 50% Männern besteht. Vielleicht sogar dann aus 15% Menschen mit Behinderung? So hoch ist der Anteil von ihnen an der Weltbevölkerung.

Was fehlt einer Frau zum Schach?

Frau und Schach - Das Damengambit
THE QUEEN’S GAMBIT (L to R) ISLA JOHNSTON as BETH (ORPHANAGE) in episode 101 of THE QUEEN’S GAMBIT Cr. PHIL BRAY/NETFLIX © 2020

Ganz einfach: Nichts! Anders als für viele andere Sportarten braucht man für Schach keinen starken Muskelbau. Bei letzterem sind Männer objektiv durchschnittlich – wen auch nicht im speziellen – im Vorteil. Dies ist Folge eines höheren Spiegels des männlichen Geschlechtshormons Testosteron im Blut. Natürlich gibt es dennoch viele Männer, die auch bei körperlichen Sportarten schwächer sind, als viele Frauen. Im Durchschnitt aber sind Männer muskulärer als Frauen. Nein, im Schach braucht man seine Muskeln fast gar nicht. Vielleicht allenfalls, um Anspannnung und Stress abzubauen.

Beim Schach spielt sich fast alles im Gehirn ab – kombiniert mit den Gefühlen. Denn elementar im Schach ist der Umgang mit Fehlern, und da spielen Gefühle und Gemütszustände eine große Rolle. Weiterhin braucht es viel Kreativität. Der letzte menschliche Weltmeister Kasparov hat letzeres schon immer sehr betont. Ein(e) gute(r) Schachspieler*in merkt sich Unmengen an Motiven und Mustern und erkennt diese zuverlässig in der Praxis. Der Großmeister John Nunn hat es klar herausgestellt: Schach ist Übungssache. Die besten Schachspieler*innen werden die, die die meisten Großmeister*innenpartien studiert bzw. nachgespielt haben. Schach ist in diesem Sinne eine alte Wissenschaft. Die allermeisten ihrer Geheimnisse sind schon aufgedeckt worden, wenn auch nicht einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Gleiches Recht für alle?

Hier kommen wir der eigentlichen Ursache der Vorherrschaft des „Mannes“ im Schach auf die Spur: er hat (bzw. hatte viele Jahrhunderte) den Zugang, sich mit Schach zu beschäftigen. Ihm wird nämlich von der Gesellschaft die entsprechende Zeit und Muße gegeben. Denn das braucht es für Schach: viel Zeit für Training, am besten von klein auf. Mit Gesellschaft denke ich dabei an die allgemeine Gesellschaft auf der Welt. In den allermeisten Ländern der Erde ist Gleichberechtigung, sind sogar Menschenrechte Fremdwörter.

Selbst vermeintlich fortschrittliche Nationen tun sich groß hervor, indem sie von höchster Stelle diskriminieren oder Menschenrechte mit Füßen treten. Demokratische Industrienationen wie mein eigenes Land sind zwar grundsätzlich auf einem besseren Weg. Dennoch macht es da auch nur auf den ersten Blick eine größere Ausnahme. Quotenregeln z.B. sind das Ergebnis eines Armutszeugnisses der Industrie, die nicht fähig ist, für gleiche Chancen und Rechte zu sorgen. Für die (noch) stärkste Partei im Land, die CDU, gibt es im Bundestagswahlkampf 2021 kein wichtigeres Thema als die angebliche Unsinnigkeit des Genderns in der deutschen Sprache.

Der „Mann“ hat übrigens in vielen Ländern die Freiheit, im Kaffee- oder Teehaus zu sitzen und einer netten Partie Schach zu fröhnen. Die Erziehung der Kinder und der Haushalt werden immer noch in den allermeisten Regionen den Frauen zugeteilt, während Männer substantiell mehr Geld für die gleiche Tätigkeit bekommen. Ja, man kann sich dabei auch fragen, warum technische Berufe besser bezahlt sind als soziale. Ist ein Auto wohl mehr Wert als ein Menschenleben? Wo setzt eine Gesellschaft also ihre Prioritäten? Im Geld oder nicht besser stattdessen in Menschlichkeit?

Die Frau und die Männerdomäne Schach

THE QUEEN’S GAMBIT (L to R) ANYA TAYLOR-JOY as BETH HARMON in episode 107 of THE QUEEN’S GAMBIT Cr. PHIL BRAY/NETFLIX © 2020

Nüchtern betrachtet kann man zunächst nur feststellen, dass deutlich mehr Männer Wettkampfschach spielen als Frauen. Letzteres aber auch nur, wenn man von den offiziellen Wettkämpfen ausgeht. Sieht man sich Wettkämpfe im Kleinen an, etwa zwischen zweieiigen Zwillingen – speziell Mädchen/Junge – dann ist sehr oft das Mädchen überlegen.

Für Erfolg im Wettkampf braucht es Grell, also Wettkampfeifer. Den ausgeprägten Ansporn, gewinnen zu wollen. Der ergibt sich hauptsächlich aus dem „Sich-Messen-Wollen“, aus dem Vergleich zu anderen. Auch hier ist ein Mechanismus, der den „Männern“ in die Hände spielt. Ist die Domäne erst einmal etabliert, so ist es vornehmlich für andere „Männer“ wirklich interessant, sich mit den Männern der Domäne zu messen. Ein sich selbst verstärkendes Cluster. Brandaktuell hingegen haben die Frauen im Sport bei den olympischen Sommerspielen in Tokyo 2021 klar gezeigt, dass sie mehr Medaillen nach Hause bringen können, als ihre männlichen Kollegen. Das chauvinistische Heldenbild des Mannes wackelt.

Schach – das könnte menschlich betrachtet zunächst für alle gleichermaßen zugänglich sein. Was es einzig braucht ist eine Art logische, analytische Intelligenz, aber vor allem viel Erfahrung und „Turnierhärte“ oder „Spielhärte“ die dann die Spielstärke ausmacht. Hier gibt es sicherlich Menschen, die für Wettkampfschach besser aufgestellt sind, die von Natur aus mehr Talente diesbezüglich mitbringen als andere. Diese für Schach talentierte Gruppe sind sicherlich nicht zwangsläufig patriotische, nichtbehinderte, heterosexuelle, wohlhabende Männer. Wohl aber hat hingegen diese Gruppe Männer ganz offenbar derzeit (wie die letzten Jahrhunderte auch) die Weltherrschaft inne. Entsprechend kann sie sich die Freiheit nehmen, nach Herzenslust Schach zu spielen und zu studieren.

Fazit

Also nochmal: „Warum spielen Männer besser Schach als Frauen?“. Richtig muss es heißen: „Warum spielen Männer mehr und häufiger Schach als Frauen?“. – Dafür gibt es viele Gründe. Der Hauptgrund ist, dass sie bevorteilt sind in unserer Welt, und mehr Zeit dazu haben. Der zweite, dass die Domäne der „Männer“ im Schach schon seit Ewigkeiten existiert. Sie ist nicht leicht zu durchbrechen.

Ich will auch Dich ermuntern dran zu bleiben am Schach. Insbesondere als Frau. Aber auch wenn Du aus anderen Gründen zu einer Minderheit in der Schachdomäne gehörst: als Behinderte(r), als Mensch eines dritte-Welt-Landes, oder einfach als Widerspenstige(r), als Ungewöhnliche(r) und als Andere(r). Nimm den Kampf im Schach auf! Miss Dich geistig-intellektuell über dieses herrliche Spiel mit anderen! Führe Krieg am Brett statt im Leben, und zeig dem „männlichen“, vermeintlich besseren Goliath den schachlichen Stinkefinger! 😉

Gut Holz!

SH, 15.01.2021

Update SH, 12.08.2021


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schachlich.de ist wieder werbefrei, und kann es dank Menschen wie dir auch bleiben. Ich freue mich aber über ein Trinkgeld von dir 🙂

Kommentare

2 Antworten zu „Frauen, Männer und Schach“

  1. Avatar von Sven
    Sven

    Lieber Schachfreund Klaus,

    danke für Deinen Beitrag! Da ich einen starken mathematischen Hintergrund habe, hab ich den Spiegelartikel nicht weiter angeschaut. Selbstverständlich ist es richtig, dass sich aus der Realität keine faktische Unterlegenheit der Frau (oder der anderen genannten Minderheiten) bzgl. Schach ableiten lässt. Praktisch sind es, wie Du sagst, statistische Effekte. So gesehen liegen wir nicht weit auseinander.

    Mir ging es in meinem Beitrag insbesondere darum herauszustellen, einerseits wie Diskriminierung zur Ausbildung von Domänen führt. Und andererseits welche Auswirkungen eine einmal ausgebildete Domäne (hier: Schach) hat, und wie sie für weitere Diskriminierung sorgt oder zumindest sorgen kann. Nur Mitglieder von Minderheiten können sich anmaßen, Diskriminierung kleinzureden. Es ist noch ein weiter Weg, auch in Deutschland. Große Teile der Bevölkerung sind noch sehr im gestern verhaftet.

    Wir sind alle nur Menschen, oder um es mit Funny van Dannen zu sagen: „auch lesbische, schwarze Behinderte können ätzend sein“. Aber wo sind weiße CIS Männer schon benachteiligt? 😉

    Viele Grüße und gut Holz!

    Sven

  2. Avatar von Klaus Kassner
    Klaus Kassner

    Zu dem Thema gab es im Jahr 2009 einen Artikel im Spiegel (online):
    https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/statistik-warum-maenner-im-schach-erfolgreicher-sind-a-600756.html
    Wenn man das Ganze statistisch sauber untersucht, z.B. in Deutschland, wo die Daten vorhanden sind, stellt man fest: der Unterschied im schachlichen Erfolg zwischen Männern und Frauen ist praktisch rein statistisch erklärbar („praktisch“ heißt hier, zu 96%; die verbleibende Differenz ist wahrscheinlich statistisch nicht signifikant). Es liegt also einfach daran, dass viel mehr Männer Schach spielen als Frauen. Andere Gründe braucht es zur Erklärung nicht.

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